Reaktionen von hohen Lamas auf den Rigpa-Skandal um Sogyal Rinpoche

Aus dem EZW-Newsletter 10/2017 | Dr. Friedmann Eißler

14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso
14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso

Nach den massiven Vorfällen im Rigpa-Netzwerk und dem Rücktritt von Sogyal Rinpoche stellt sich für viele die Frage: Wie reagieren hohe tibetische Lamas darauf? Wie ist mit unethischem Verhalten umzugehen? Welchen Stellenwert hat die Kritik von Schülern?

Der Dalai Lama ermutigt zu einer kritischen Haltung. Schüler sollten dem Guru nie blind folgen. Jeder Schüler müsse die Unterweisung des Lehrers auf ihre Übereinstimmung mit dem Dharma, der wahren buddhistischen Lehre, prüfen. Bei massivem Abweichen des Lehrers von der buddhistischen Ethik solle dies öffentlich gemacht werden: „Make it public!“ So sei es jetzt bei Sogyal Rinpoche geschehen. „Now, recently Sogyal Rinpoche, my very good friend, but he’s disgraced. So some of his own students have now made public their criticism.“

© Kathy Halstead | Mingyur Rinpoche | CC BY-NC 2.0

Der gebürtige Nepalese Mingyur Rinpoche, Gründer der Tergar Meditationsgemeinschaft (2016), hebt die Bedeutung von „Ethik und Tugend“ hervor, die in vielerlei Hinsicht „das Fundament des buddhistischen Weges“ seien. Neben den Idealen von Gewaltlosigkeit und Großem Mitgefühl, die für alle wesentlich sein sollten, gibt es hohe Anforderungen an die Eigenschaften eines authentischen Lehrers. Der Schüler soll Vertrauen entwickeln, Hingabe und Selbstverantwortung. „Der Dreh- und Angelpunkt der Lehrer-Schüler-Beziehung ist, dass sie zum Nutzen des Schülers sein sollte.“ Wenn dieser Nutzen sich trotz Bemühung nicht einstellt, ist die Trennung vom Lehrer nicht nur möglich, sondern geboten. Wenn Menschen verletzt oder Gesetze gebrochen würden, müssten „die ethischen Verfehlungen angesprochen werden“, egal ob es sich um Verfehlungen sexueller, finanzieller oder anderer Art handelt. Die Sicherheit des Opfers hat absoluten Vorrang. Wenn sich ein langfristiges Muster zeige, sei es angemessen und notwendig, „das Verhalten öffentlich zu machen“.

Keine Entschuldigung sei der Verweis auf die Tradition der „verrückten Weisheit“ (crazy wisdom). Diese gehe zwar weit zurück bis in die Anfänge des tibetischen Buddhismus, „aber leider wird sie oft benutzt, um unethisches Verhalten zu rechtfertigen, das nichts mit Weisheit und Mitgefühl zu tun hat.“ Die extremen Lehrmethoden der „verrückten Weisheit“ würden, wenn überhaupt, nur bei sehr fortgeschrittenen Schülern angewandt. Sie stellten die Ultima ratio dar, keinesfalls die Norm. Fest steht: „Körperlicher, sexueller oder psychologischer Missbrauch sind keine Lehrmethoden.“

© Pedro Rocha | Dzongsar Khyentse Rinpoche Chagdud Gonpa | CC BY-NC 2.0

Der buddhistische Lehrer und Filmregisseur Dzongsar Jamyang Khyentse spielt mit einer positiven Reminiszenz an Chögyam Trungpa (1939-1987), der für seine Eskapaden bekannt wurde, auf das Konzept der „crazy wisdom“ an. Hauptfokus ist bei ihm die Klarstellung der unangefochtenen und unhinterfragbaren Autorität des Meisters. Wenn die Schüler Sogyal Rinpoches tatsächlich eine Vajrayana-Initiation erhalten haben und sich dessen zu diesem Zeitpunkt klar bewusst waren, hat Sogyal „aus Vajrayana-Sicht“ mit seinem Verhalten nichts falsch gemacht, so Dzongsar Khyentse. Wenn ein Schüler bewusst den Vajrayana-Pfad beschritten hat, bedeutet schon der Gedanke, Handlungen des Gurus als „Missbrauch“ zu bezeichnen oder einen Vajrayana-Meister zu kritisieren einen „Bruch des Samaya“. Gilt dies schon für vertrauliche Kritik, so umso mehr von öffentlicher und gar veröffentlichter Kritik. Mit „Samaya“ sind Gelübde gemeint, die der Vajrayana-Praktizierende bei der Initiation auf sich nimmt und die ihn in besonderer Weise mit dem Guru verbinden und zum Gehorsam gegenüber dem Guru verpflichten. Das Brechen der Samaya-Verpflichtungen zieht schwere karmische Folgen nach sich. Weder könne der Guru den Schüler noch der Schüler den Guru „analysieren“. Selbst irritierende, ja neurotische und sogar kriminelle Verhaltensweisen seien mit der Person anzunehmen. Sexueller, emotionaler oder finanzieller Missbrauch seien damit keineswegs gerechtfertigt, doch könne ein Guru alle Mittel anwenden, um das Ego jedes einzelnen Schülers herauszufordern und dagegen vorzugehen. Diese Regeln könnten nicht einfach zurechtgebogen werden. „Wir können die Vajrayana-Sichtweise nicht ändern oder irgendeine ‚moderate‘ Version des Vajrayana-Buddhismus erfinden, nur um der westlichen Geisteshaltung des 21. Jahrhunderts zu gefallen.“ Als Hintergrund benennt Dzongsar Khyentse die Auffassung von der „reinen Sicht“ bzw. reinen Wahrnehmung (pure perception), die für den Vajrayana-Buddhismus zentral ist. Allerdings bleibt die Wahrnehmung von Schülern immer unrein, so dass sie den Guru fast zwangsläufig mit Makeln behaftet sehen – eine auf dieser unreinen Wahrnehmung basierende Projektion. Hinterfragen und Kritisieren des Gurus sind Dzongsar Khyentse zufolge Anzeichen einer selektiven unreinen Perzeption, die dem dualistischen Geist verhaftet ist. „Alles, was Sogyal Rinpoches kritische Schüler ihm vorwerfen, beruht auf ihrer Projektion. Ich weiß, es ist schwer zu akzeptieren, ich weiß, es scheint sehr real, aber trotz allem ist es eine Projektion.“

Schließlich führt Dzongsar die (allzu menschlichen) Reaktionen auf das Karma zurück. Karmische Auswirkungen fänden ihren Weg, da hätte auch jede Aufklärung der Schüler vorab nichts gebracht. „Gefühle sind karmisch. Und ich fürchte, diese Situation wird nicht geklärt sein, bis jenes Karma erschöpft ist.“

© Olivier Riché | Sogyal Rinpoche in Dzogchen Beara | CC BY-NC 2.0

Dzongsar Khyentse setzt Sogyal Rinpoche grundsätzlich ins Recht, wirft den „kritischen Schülern“, die immerhin Opfer von Missbrauch und Gewalt geworden sind, den Bruch der Samaya-Gelübde vor – und erklärt die ganze Aufregung karmisch. Für Ohren, die auf diesen Klang nicht gestimmt sind, klingt das zynisch.

Rigpa Deutschland betont derzeit – was formal und für sich betrachtet zweifellos zutrifft –, es handele sich um Anschuldigungen gegen den Meister, deren Berechtigung erst einmal geklärt werden müsse. Auf die Situation der Opfer wird kaum Bezug genommen. Wenn man derzeit Facebook- und Internetseiten im Rigpa-Umfeld anschaut, kann man den Eindruck gewinnen, dass insbesondere auf den Beitrag von Dzongsar Khyentse hingewiesen wird. Die neuesten Meldungen, nach denen Sogyal Rinpoche an Darmkrebs erkrankt sei, verstärken auf dieser Linie eher den Druck auf die Schüler: Jetzt müsse man zusammenstehen und für die schnelle Gesundung des Gurus beten. Man dürfe jetzt keinen (weiteren) Bruch des Samaya mehr begehen, da dies sehr schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit und das Leben des Meisters habe. Auf der offiziellen Internetseite www.rigpa.org ist im Oktober 2017 weder der Konflikt noch der Rücktritt Sogyal Rinpoches ein Thema.

Dr. Friedmann Eißler


© Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) | Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis

Hinweis: Ausführlichere Informationen zu „Buddhismus: 30 Jahre ‚Rigpa‘ in Deutschland“ und „Reaktionen im Kontext des Rigpa-Skandals um Sogyal Rinpoche“ werden im kommenden EZW-Materialdienst 11/2017 veröffentlicht und online verfügbar sein.

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