Im Herbst 2018 verfassten einige Betroffene von schädigenden Handlungen Sogyal (Lakar) Rinpoches eine Email an 40 eminente tibetische buddhistische Lehrer (Lamas). Der Email wurde der 50-seitige Bericht der Lewis Silkin Anwaltskanzlei beigefügt sowie eine Übersetzung ins Tibetische des Briefes von acht langjährigen Rigpa-Schülerinnen vom Juli 2017, indem diese physische und sexualisierte Gewalt sowie finanziellen und emotionalen Missbrauch durch Sogyal Lakar adressierten. Der Grund für diese Email-Aktion im Herbst 2018 war, dass fünfzehn Monate nach Bekanntwerden dieses Schreibens vom Juli 2017 die öffentlichen Reaktionen hoher tibetisch-buddhistischer Meister auf die adressierten schädigenden Handlungen Sogyal Lakars recht überschaubar waren. Neben Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, hatten sich zuerst Mingyur Rinpoche und Dzongsar Khyentse Rinpoche öffentlich geäußert. Nach einer Email-Aktion im Dezember 2017 gab es dann noch ein öffentliches Statement von Tsoknyi Rinpoche.
Im Email vom Herbst 2018 heißt es im ersten Absatz:
Wir sind Schüler des tibetischen Buddhismus, die im vergangenen Jahr von Enthüllungen betroffen waren, denen zufolge einige Lamas ihren Schülern Schaden zugefügt haben (insbesondere der Missbrauch von Schülern durch Sogyal Rinpoche von Rigpa und Sakyong Mipham Rinpoche von Shambhala). Wir finden es äußerst problematisch, dass sich so wenige tibetische Lamas gegen ein solches Verhalten ausgesprochen haben. Wir schreiben Ihnen jetzt, um Sie zu bitten, Ihre Position bezüglich unethischer und schädlicher Verhaltensweisen von Sogyal Lakar / Rinpoche von Rigpa zu klären. Wir hoffen, dass wir ausreichend Antworten erhalten werden, um die Studenten zu beruhigen, dass der tibetische Buddhismus eine Religion ist, die niemals von ihrem Grundprinzip des Nicht-Schädigens abweicht und die höchsten ethischen Standards aufrechterhält.
Die Lamas werden in der Email gebeten, ihr Schweigen zu brechen und „eine Erklärung abzugeben, in der allen Dharma-Studenten versichert wird, dass die missbräuchlichen Verhaltensweisen, die in dem beigefügten Brief beschrieben und im Lewis-Silkin-Bericht bestätigt werden, für Sie nicht akzeptabel sind.“ In der Email wird behauptet, dass „viele Schüler“ sich nun fragen würden, „ob sie irgendeinem Lama trauen können, dass er sich ethisch korrekt verhält, wenn er oder sie keine öffentliche Erklärung abgegeben hat, aus der hervorgeht, dass missbräuchliches Verhalten als nicht akzeptabel angesehen wird.“ Teile des Vajrayana wären von Sogyal Lakar und anderen Lamas benutzt worden, „um seinen Missbrauch zu rechtfertigen,“ so dass einige Schüler wegen dieser Vorfälle den Tibetischen Buddhismus insgesamt infrage stellen oder sich generell von Religionen abwenden würden. Außerdem gab es die Möglichkeit, dass Unterstützer die Email an die Lamas mit unterzeichnen können. Als konkrete Frage mit Bitte um Antwort und Hinweis, dass diese Antwort veröffentlicht wird, wurde formuliert:
Denken Sie, dass das Verhalten von Sogyal Lakar / Rinpoche, so wie es im Brief von 2017 von 8 nahen Studenten beschrieben wird und durch den Lewis Silkin-Bericht bestätigt wird, jemals ein akzeptabler Weg für tibetisch-buddhistische Lehrer ist, sich so gegenüber ihren Schülern zu verhalten?
Nun, Ende November 2018, liegen zwei öffentliche Antworten vor, eine vom Ehrwürdigen Dagpo Rinpoche und eine von Ato Rinpoche. Außerdem gab Jetsunma Tenzin Palmo im Rahmen eines Email Austausches eine recht hilfreiche Erklärung zu „Samaya“ (Gelübden im Vajrayana) und zur sogenannten „Guru-Hingabe“. Sie gab auch die Erlaubnis, diese Erklärung öffentlich zu teilen. Nachfolgend die Übersetzungen der beiden Antworten und der Erklärung von Tenzin Palmo. (Übersetzung: Ilga Stoeppler)
Dagpo Rinpoche
Liebe Freunde von Rigpa Zentren,
bezüglich Sogyal Rinpoche hörte ich im letzten Jahr einige Nachrichten über die Situation, doch Ihr kürzlich auf Tibetisch verfasstes Schreiben hat die Sache klargestellt. Ich finde den ganzen Sachverhalt sehr bedauerlich und mir tut sehr leid, in welch misslicher Lage Sie sich nun befinden. Mir scheint, dass es jetzt darauf ankommt, wie Sie damit fertig werden. Sie alle haben die Lehren des Buddha studiert und wissen, wie wichtig es ist, Zorn und Abneigung zu überwinden, unabhängig von den Umständen. Da Sie von Sogyal Rinpoches Güte profitiert haben, indem Sie den Dharma von ihm empfangen haben, glaube ich, es wäre gut, wenn Sie mit den schlechten Gefühlen, die Sie ihm gegenüber haben, umzugehen versuchen. Ich weiß nicht, ob Sie in der Lage sein werden, Ihre frühere Lehrer-Schüler-Beziehung mit ihm aufrecht zu erhalten. Wenn Sie meinen, das sei nicht möglich, wäre das Nächstbeste, Ihre Gefühle für ihn neutral und frei von Zorn und Abneigung zu halten.Um zu vermeiden, dass solch eine Situation wieder geschieht, wäre es vielleicht ratsam, so weitgehend wie möglich bekanntzumachen, was der Buddha lehrte hinsichtlich des Aufbauprozesses einer spirituellen Lehrer-Schüler-Beziehung, wie wichtig es ist, vorher eine Periode beidseitiger Beobachtung einzuhalten, usw.
Bezüglich Sogyal Rinpoches Verhalten habe ich über das hinaus, was Seine Heiligkeit der Dalai Lama bei verschiedenen Gelegenheiten eindeutig dazu erklärt hat, nichts hinzuzufügen, und ich pflichte ihm in allem bei, was er dazu gesagt hat.
Es ist meine aufrichtige Hoffnung, dass Ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten bald enden, dass Sie in sich und miteinander Frieden finden, und dass Sie zumindest eine herzliche Beziehung haben werden mit Sogyal Rinpoche, von dem Sie viele Belehrungen empfangen haben. Ich bete, dass es so sein möge.
Der Ehrwürdige Dagpo Rinpoche
Ato Rinpoche
Grüße an die Unterzeichner des untenstehenden Briefes!
Ich bin von Natur aus und durch mein Training zurückhaltend im Kritisieren von anderen. Unter den gegenwärtigen Umständen jedoch erkläre ich nun geradeheraus, dass das missbräuchliche Verhalten, umschrieben im vergangenen Jahr in dem Brief von acht Rigpa Schülern – so es denn wahr ist, und ich habe keinen Grund daran zu zweifeln – für mich nicht akzeptabel ist.
Für fundierten Rat hinsichtlich der Lehrer-Schüler-Beziehung würde ich empfehlen, Patrul Rinpoche zu lesen und die wiederholt vom Dalai Lama gegebenen Hinweise zu befolgen.
Ato Rinpoche
Im Juni 2019 tragen Damcho Dyson, Tahlia Newland und Jacki Wicks im Rahmen des 16. internationalen Kongresses der Sakyadita International Association of Buddhist Women gemeinsam eine Abhandlung über Sogyal Rinpoches Missbrauch und die daraus resultierenden Auswirkungen vor. Jacki erkundigte sich bei Tenzin Palmo per E-Mail über einen Aspekt der Konferenz und fragte auch, was ihre Gedanken seien im Zusammenhang mit dem Fehlverhalten von Lehrern über Themen wie Samaya und Hingabe an den Lehrer. Ich fand Tenzin Palmos Antwort erfrischend vernünftig und direkt und fragte Sie, ob ich sie hier veröffentlichen dürfe. Sie gab ihre Erlaubnis, also:
Samaya gilt beidseitig. Der Schüler hat Samaya dem Lehrer gegenüber, doch der Lehrer hat auch dem Schüler gegenüber Samaya. Das Samaya des Schülers bedeutet, dass dieser Hingabe, Vertrauen und Offenheit kultivieren soll, um die Geistessegnungen des Lehrers zu empfangen. Das Samaya des Lehrers besteht darin, durch sein Wissen und sein Mitgefühl das spirituelle Potenzial des Schülers zu entwickeln. Deshalb müssen wir fragen, ob die Handlungen und die Worte des Lehrers zum Wohl des Schülers führen, zum Vorankommen auf dem Pfad und zum allgemeinem Gefühl der Bereicherung – oder nicht?
Spirituelle Lehrer können den Dharma nicht als Vorwand für unzüchtiges oder missbräuchliches Verhalten benutzen. Tantra bedeutet nicht, schutzlose Frauen zum Sex zu nötigen. Wo bleibt das Mitgefühl, wenn man mittels seiner Position der Macht und Autorität eben die Menschen verrät, die einem vertrauen und gehorchen? Wo sind da grundlegende Ethik und Güte?
Wenn sich die Schüler (für gewöhnlich – aber nicht immer – weibliche) als Ergebnis einer sexuellen Beziehung mit dem Guru wirklich besser, ermächtigt und zuversichtlich fühlen, dann hatte der Lehrer geschickte Mittel angewendet. Wenn jedoch eine solche Beziehung zu Demütigung, Verwirrung und Desillusionierung führt, wo finden sich dann darin Weisheit und Mitgefühl? In wiefern wurde ihnen geholfen?
Klar ist, dass die manipulative Art dieser Begegnungen sehr viel Stress erzeugt. Es scheint alles so egozentrisch und bar jeder Empathie zu sein. Wie können diese Lehrer solches Verhalten sich selber gegenüber rechtfertigen? Auch wenn es sich hier um eine Mischung von Macht, Einsamkeit, emotionaler Unreife und so weiter handelt, so entschuldigt das doch längst nicht die Art von Verhalten, das überall und von jedermann verurteilt würde. Dass diese Lehrer Probleme haben, ist das eine, aber dass sie ihr eigenes Training nicht nutzen können, um mit diesen Themen umzugehen (oder sie auch nur zu erkennen) ist wirklich ein Problem! Eigentlich ist es erbärmlich. Gurus müssen dieselben ethischen Grundsätze befolgen wie Ärzte, Psychologen, Lehrer usw., damit man ihnen vertraut und sie respektiert, und damit sie nicht das Ansehen des Buddhismus belasten.
Wie Mingyur Rinpoche deutlich gemacht hat, kultivieren wir reine Wahrnehmung jedem gegenüber, nicht nur dem Guru. Dennoch sind heutige Lamas nicht Guru Rinpoche oder Tilopa, so wie auch der Schüler nicht Yeshe Tsogyal oder Naropa ist. Hat es dem Schüler genutzt? Gut. Ist der Schüler psychologisch geschädigt? Nicht gut. So einfach ist das.
Tibetischer Buddhismus basiert auf einem feudalen System totaler Autorität (wie korrupt auch immer) und elendem Gehorsam. Wir müssen uns nicht rückwärts bewegen zu überholten sozialen Haltungen, um gute Praktizierende zu sein. Ein besorgniserregender Aspekt ist die Bemühung zu „vertuschen und abzuwehren“ von Lamas, die es besser wissen sollten. Teil des „Altherrenverein“-Syndroms. Inakzeptables Verhalten verteidigen zu wollen durch das Zitieren tantrischer Texte und die Opfer anzuklagen, bedeutet, Tantra mit Gewalt gleichzusetzen, mit allzu großer Nachsicht und sexuell rücksichtsloser Aktivität, und das sagt wohl nichts Gutes über diese Methode als geeigneten Pfad zur Erleuchtung.
Wenn Schüler angewiesen werden, den Lehrer nie in Frage zu stellen und alles zu tun um ihm zu gefallen, dann öffnet das natürlich Tür und Tor für Ausbeutung. Diese feudale Denkweise muss mit Vernunft und ganz normaler Vorsicht gemäßigt werden. Wenn es sich falsch anfühlt – tu’s nicht, egal wer dich darum bittet. Es stellt keinen Bruch des Samaya-Gelübdes dar, Nein zu sagen.
Wie jemand sagte: „… das Glück des Privilegierten basiert darauf, sich nie auf den Prozess einzulassen, zur Verantwortung gezogen zu werden … die Offenbarung der Wahrheit ist überaus gefährlich für eine Oberhoheit.“
Seid also dankbar für die Belehrungen, die der Lama gegeben hat, und schätzt alles, was hilfreich war. Aber habt keine Schuldgefühle, wenn ihr seht und erkennt, wo die Grenzen vom Lehrer überschritten worden sind. Der Fehler liegt in den Schwächen und im falschen Verhalten des Gurus. Mehr Glück beim nächsten Mal.
Alle guten Wünsche im Dharma,
Tenzin Palmo
Mitgefühl allen gegenüber und dabei das Heile zu schützen in allen!
Sogyal sagte oft, es gäbe nur einen, der dem Schülern wirklich helfen könne und das sei der Schüler selbst. Er hat oft aufgefordert, genuine zu sein, authentisch also.
Ich habe Rigpa vehement „gewarnt“ (2011) in gefährlichen „Wassern“ zu fahren, mehrmals, es wurde ignoriert. Unterwürfigkeit öffnet immer der Enttäuschung die Tore. Schüler und Lehrer, Org. ect. bedingen sich, immer.
Eine Heilung wäre möglich, allen offen, in unabhängiger Leitung. Das wäre buddhistische Praxis, ein Ende der Zensur und Dominanz. Ein Ende aller Herrschaft von Menschen über Menschen. Dies ist sowieso das aufsteigende Thema in diesem Moment der Welt. Wenn Lamas Andere dämonisieren, wie K. Namdrol und O.T. dies getan haben und dabei in Rigpa Org weiter den Kurs bestimmen, ist dem nichts hinzuzufügen, ist alles offensichtlich…widersprüchlich.
Es ist auch im Buddhismus ein Erinnern notwendig, selbst der Buddhismus ist eine Deutung der Wirklichkeit, sie selbst aber steht über alles Deuten und ist frei aller Herrschaft und Gefangenschaft. Immer war sie es. Dieser hier alle einbeziehende angedachte Heilungsprozess orientiert sich an den Gesetzen der Wirklichkeit, würde den Verunsicherten (Ur) Vertrauen zurückgeben. Auch in ihre Wirklichkeit. Ihr entspringt das Wissen, das Mitgefühl. Buddha hat diese Wirklichkeit in sich und um sich nicht erleuchtet, er hat sie erkannt. Zum Glück!