Missbrauch in der FPMT: Verleugnen, Angreifen und Umkehren von Opfer und Täter

Überblick

  1. Eine kurze Geschichte der FPMT
  2. Missbrauchsvorwürfe, Reaktionen und eine unabhängige Untersuchung – eine zeitliche Abfolge
  3. Der zusammenfassende Bericht des Faith Trust Instituts (FTI) an die FPMT
  4. Die Reaktionen der FPMT auf den FTI Bericht
  5. Offene Fragen
  6. Der Stand des Strafverfahrens in Indien

1. Ein kurze Geschichte der FPMT

Logo FPMTDie Gesellschaft zur Erhaltung der Mahayana-Tradition (FPMT) wurde im Jahre 1975 von den buddhistischen Mönchen und Lehrern Lama Thubten Yeshe (1935-1984) und Lama Zopa Rinpoche (geb. 1945) gegründet. Neben Rigpa, Shambhala, Diamantweg und der Neuen Kadampa Tradition ist sie eine der fünf großen international agierenden Organisationen, die dem indo-tibetischen Buddhismus entstammen.

Lama Thubten Yeshe

Lama Yeshe wurde in Tibet geboren und als Wiedergeburt einer Äbtissin eines kleinen Klosters der Gelug-Schule (der auch der Dalai Lama zugehört) anerkannt. Mit sechs Jahren trat er in das Kloster Sera Je ein, studierte bis zum 25. Lebensjahr und floh aufgrund der brutalen chinesischen Okkupation Tibets, die im Jahre 1950 begann, nach Indien. In Buxa, einem tibetischen Flüchtlingscamp, setzte er für einige Jahre seine Studien fort und wurde mit 28 Jahren vollordiniert. Von seinen Schülern wird er für seine offene, warmherzige, humorvolle Art bis heute geliebt und verehrt.

© Aikido. Kyabje Lama Thubten Zopa, 17.12.2008, Kopan Kloster, Nepal
(CC BY-SA 3.0)

Lama Zopa Rinpoche wurde in Nepal in einer Sherpa Familie geboren und als Wiedergeburt des Lawudo Lama Kunzang Yeshe anerkannt. Schon in der Kindheit wurde er in den Ritualen und Traditionen des Nyingma Ordens geschult. Während einer Pilgerreise nach Tibet wurde er Student eines Gelug-Klosters, nahm die Novizen Gelübde und erhielt den Namen Thubten Zopa. Mit der chinesischen Okkupation Tibets floh er von Tibet nach Indien. Da monastische Gelehrte von den indischen Autoritäten nach Buxa gesendet wurden, schloss Thubten Zopa sich dort den anderen Mönchen an. Dort studierte er mit verschiedenen Gelug Lehrern, u.a. Geshe Rabten.

In Buxa traf Lama Zopa auf Lama Yeshe, der die volle Verantwortung für die Ausbildung des jungen Erwachsenen übernahm. 1965 trafen beide die in New York geborene Nonne Zina Rachevsky (Thubten Changchub Palmo), die ihre Wohltäterin wurde und mit der sie 1965 nach Nepal reisten. In Kathmandu mietete Rachevsky ein Haus auf einem Hügel, das später das Kopan-Kloster wurde. Dort unterrichten die beiden Lamas sie und auch zunehmend internationale Studenten und Interessierte in Meditation und Buddhismus.

Seit der offiziellen Gründung der Foundation for the Preservation of the Mahayana Tradition (FPMT) durch Lama Yeshe im Jahre 1975 wuchs die Organisation zu einer weltweiten Organisation mit über 160 Zentren und Projekten in 37 Ländern. Der Hauptsitz der FPMT, das Internationale Büro (FPMT Inc.), ist in Portland, USA.

Die FPMT betreibt vielfältige Projekte wie unter anderem Initiativen für Gefängnisinsassen, Studienprogramme, Meditationsprogramme, humanitäre Programme, Aktionen für das Tierwohl, das Maitreya Projekt, und eine Dachorganisation für Ordinierte (IMI). In der FPMT gibt es eine starke monastische Bewegung und auch Strukturen für Ordinierte Nonnen und Mönche – sowohl aus nicht-buddhistischen, wie buddhistischen Ländern.

2. Missbrauchsvorwürfe, Reaktionen und eine unabhängige Untersuchung – eine zeitliche Abfolge

Polizeiliche Festnahme in Indien

Am 3. Mai 2019 erstattet eine Frau Anzeige bei der indischen Polizei. Sie gibt an, dass Dagri Rinpoche, ein hochangesehener tibetischer Meister und offizieller Lehrer der FPMT, sie an diesem Tag an Bord eines Air India Fluges von Delhi nach Gaggal belästigt habe. Die Polizei in Gaggal nimmt Dagri Rinpoche für Ermittlungen vorübergehend fest.¹

Eine ehemalige Nonne meldet sich aus Indien via YouTube

Die Reaktionen innerhalb und außerhalb der FPMT, die Dagri Rinpoche sogleich in Schutz nehmen, veranlassen die junge Jakaira Perez Valdivia ein öffentliches YouTube Video zu posten, in dem auch sie ihn beschuldigt sie sexuell belästigt zu haben. Zu dieser Zeit war sie eine buddhistische Nonne und lebte in Dharamsala. Sie berichtet, dass es lange gedauert habe, bis sie sich getraut habe, zu erzählen, was passiert ist, weil einige Leute versucht hätten, sie davon zu überzeugen, dass sie niemals Übergriffe erfahren oder Dagri Rinpoche nur aus Mitgefühl gehandelt habe. Sie appellierte an andere betroffene Frauen, von denen sie wisse, ebenso ihre Leidensgeschichten öffentlich zu machen.

Reaktionen aus der Klosterabteilung Dagri Rinpoches

Am 12. Mai 2019 veröffentlicht der Sera Jey Tsawa Khangtsen, eine Abteilung des Sera Je Klosters, und die Sektion der Dagri Rinpoche als religiöser Würdenträger zugehörig ist, eine Erklärung, in der sie die Vorwürfe als „unwahr, erfunden“ bezeichnen und Shugden Praktizierende beschuldigen, sie zu verbreiten. Diese seien vom „unheiligen Einfluss von Maras Kräften“ [Dämonen] besessen. Dagri Rinpoche habe bereits eine passende und Vertrauen inspirierende Klärung der Angelegenheit gegeben.

Eine weitere Betroffene aus Korea meldet sich

Wow. Ich bin jetzt ein Anhänger von Dhogyal [Shugden]? Maras Kräfte? So ein Quatsch …

Dies wiederum veranlasst ein weiteres Opfer, die Koreanerin Shin Young Sun, am 14. Mai 2019 ihre Geschichte des Missbrauchs durch Dagri Rinpoche auf Facebook zu teilen.

Ratschlag Lama Zopa Rinpoches und FPMT Verlautbarungen

Am gleichen Tag veröffentlicht die FPMT einen Rat Lama Zopa Rinpoches an dessen Schüler. Er betont gleich zu Beginn, dass aus seiner Sicht Dagri Rinpoche ein sehr „positives, heiliges“ und „definitiv nicht ein gewöhnliches Wesen“ sei. Nachfolgend erzählt er zwei Geschichten, die das aus seiner Sicht belegen würden und führt aus, wie wichtig es sei, den Guru als heilig und Dinge „als positiv“ zu sehen.

Dieser Rat wird durch eine weitere FPMT Mitteilung am selben Tag ergänzt,  in der die FPMT wissen lässt, dass sie Dagri Rinpoche für die Zeitdauer der polizeilichen Untersuchungen des mutmaßlichen Übergriffs im Flugzeug suspendiert habe. Zusammen mit dieser Meldung veröffentlicht die FPMT auch ein Statement Dagri Rinpoches, datiert auf den 3. Mai 2019, indem er verneint, die Frau im Flugzeug oder Jakaira Perez Valdivia belästigt zu haben. Er habe keine Missetat begangen, für die er sich schämen müsse. Er habe seinen Körper, Ressourcen und alle Verdienste für den Nutzen aller Lebewesen gewidmet.

Vierzehn erfahrene Nonnen starten eine Petition

Am 16. Mai 2019 richtet eine Gruppe erfahrener Nonnen – u.a. Jetsünma Tenzin Palmo, Bhikshuni Karma Lekshe Tsomo, Bhikshuni Jampa Tsedroen, Bhikshuni Thubten Chodron und Geshema Kelsang Wangmo – via einer Petition die öffentliche Bitte an die Direktoren des FPMT Vorstandes, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten und deren Ergebnisse zu veröffentlichen. Neben den drei bereits genannten Fällen seien ihnen persönlich noch andere westliche Nonnen bekannt, die berichtet hätten, von Dagri Rinpoche belästigt worden zu sein.

Ein weiterer Ratschlag Lama Zopa Rinpoches und Reaktion des Privatbüros des Dalai Lama

Am 24. Mai 2019 gibt Lama Zopa einen weiteren Ratschlag an Studenten Dagri Rinpoches in dem er noch einmal betont, dass Dagri Rinpoche ein heiliges und kein gewöhnliches Wesen sei „egal was Menschen in der Welt sagen, um Dagri Rinpoche zu kritisieren“, er lasse sich nicht wie eine Kuh, die durch einen Strick durch die Nase festgebunden ist, von den Leuten an der Nase herumführen. Er betont, ob man etwas mag oder nicht hänge vom Geist ab, davon ob man etwas als gut oder schlecht bewertet. In Bezug auf eine Untersuchung des Verhaltens Dagri Rinpoches fragt er, in welchem Zeitraum das zu untersuchen wäre und geht dann in die Vorleben von Dagri Rinpoche und fragt, ob man dann nicht auch seine Leben seit anfangsloser Zeit untersuchen müsse, das würde aber endlos dauern und man könne dies nicht, so lange man nicht erleuchtet sei. Dann kommt er auf die (umstrittene) Shugden-Praxis zu sprechen, die der Dalai Lama ablehnt und argumentiert, der Dalai Lama würde für seine Gegenposition ja auch kritisiert, aber er sage das eben aus Mitgefühl. Am Ende müsse man schlussfolgern, dass keiner erleuchtet sei und die Lehren nicht wahr wären. Seinen Rat schließt er ab:

Ich möchte sagen, dass es mir zutiefst leid tut für all die Menschen, die durch Rinpoches heilige Handlungen verletzt wurden.

Fünf Tage danach lässt der Privatsekrätär des Dalai Lama den CEO der FPMT und die rechte Hand Lama Zopa Rinpoches, den Ehrw. Roger Kunsang, in einer Email wissen, was der Dalai Lama dazu zu sagen hat:

Seine Heiligkeit rät, dass man, wann immer Ausbeutung, sexueller Missbrauch oder andere Formen von Missbrauch geschehen, diese öffentlich machen sollte. Das ist der einzige Weg, um das schädliche Verhalten eines Lehrers zu stoppen. Dies mit guter Motivation zu tun, ist der richtige Weg, ein falsches Verhalten zu korrigieren – um zu verhindern, dass diese [Lehrer] Buddhas Rat missachten oder weiteren unschuldigen Schülern schaden. (FTI Report, Email vom 29.05.2019, S. 33)

Weitere FPMT Verlautbarungen

Am 29. Juni 2019 annonciert die FPMT, dass sie Mitglied einer britischen Wohltätigkeitsorganisation für Schutzmaßnahmen, Thirtyone:eight, wurden.

Knapp fünf Monate später, am 14. November 2019, gibt die FPMT Inc. bekannt, das FaithTrust Institute (FTI) – eine US-amerikanische, multireligiöse Trainings- und Bildungsorganisation – beauftragt zu haben, eine unabhängige Beurteilung der Anschuldigungen gegen Dagri Rinpoche durchzuführen.

Am 20. Dezember 2019 geben das Internationale Büro des FPMT und der Vorstand bekannt, einen vertraulicher Briefkasten über das FaithTrust Institute einzurichten, über den jeder, der Schaden durch Dagri Rinpoche erfahren oder gesehen hat, einen Bericht abgeben könne.

Der unabhängige Bericht des Faith Trust Instituts wird der FPMT übergeben

Neun Monate später, am 19. September 2020, übergibt das FaithTrust dem FPMT-Vorstand den ausführlichen und zusammenfassenden Abschlussbericht ihrer fast einjährigen Untersuchung. Der FPMT-Vorstand versprach zuvor, den zusammenfassenden FaithTrust-Bericht innerhalb von 30 Tagen zu veröffentlichen. Der Bericht wird allerdings nicht wie versprochen bis zum 19.10.20 veröffentlicht.

Opfer und Unterstützer erzeugen Druck den FTI Bericht zu veröffentlichen

Daher publizieren die Opfer und ihre Unterstützungsgruppe am 9. November 2020 im Internet einen Bericht, der deutlich expliziter als der dann später doch noch veröffentlichte zusammenfassende Abschlussbericht des FaithTrust Instituts ist. Die Gruppe der Opfer, die die Übergriffe gemeldet hatten, wird durch Janet Gyatso, einer Professorin an der Harvard Universität, Roshi Joan Halifax und der Anwältin Carol Merchasin, unterstützt. Den Bericht senden sie mit einer begleitenden Email an Dharma-Freunde und -Zentren und bitten diese, an den FPMT-Vorstand zu schreiben und diesen zu bitten, den FTI Bericht wie versprochen zu veröffentlichen.

Ein Großteil des FPMT Vorstandes tritt zurück

Zwischen dem 6. und 12. November 2020 treten dann fünf der neun Mitglieder des FPMT-Vorstandes zurück: 1) Andrew Haynes (Vorsitzender des Vorstands), 2) Rasmus Hougaard, 3) Lhundub Chodron, 4) Peggy Bennington und 5) Debra Ladner. Dies waren diejenigen mit der meisten „weltlichen“ Erfahrung in Jura, Wirtschaft etc. Übrig blieben vier Mönche, drei davon aus der Himalaya Region Nepals. Später wird Eamon Walsh, ein ehemaliges Mitglied des Vorstandes und Partner von Claire Isitt vom Internationalem FPMT Office, als fünftes Mitglied ernannt.

Somit sind nun alle Mitglieder des gegenwärtigen Vorstandes der FPMT männlich und die Mehrheit sind asiatische Mönche.

(Mehrere Quellen legen folgende Interpretation für den Rücktritt der Mehrheit des Vorstandes nahe: Die fünf an Aufklärung interessierten Vorstandsmitglieder traten aus Unzufriedenheit mit dem offiziell eingeschlagenen FPMT-Kurs zurück.)

Die FPMT akzeptiert den FTI Bericht und erkennt „sexuelles Fehlverhalten“ an

Am 13. November 2020 veröffentlicht der verbleibende Vorstand der FPMT eine Mitteilung über die Ergebnisse der Untersuchung und erklärte zu akzeptieren, „dass Dagri Rinpoche nach dem vom FaithTrust Institute angewendeten Standard sexuelles Fehlverhalten begangen hat“, es sei einstimmig beschlossen worden, dass er dauerhaft suspendiert wird und aus der Liste der registrierten FPMT-Lehrer entfernt wird.

3. Der zusammenfassende Bericht des Faith Trust Instituts (FTI) an die FPMT

Zwei Monate nach der Zusendung des FTI Berichts, veröffentlicht die verbleibende FPMT-Führung in ihrer 20. November 2020 Mitteilung dann doch noch den „Zusammenfassenden Bericht über Beschwerden sexuellen Missbrauchs gegen Dagri Rinpoche“. Zwischen der FPMT und dem FTI wurden im Januar 2020 Vereinbarungen über den Prozess der unabhängigen Untersuchung und der nachfolgenden konsistenten und mit den Betroffenen abzusprechenden Kommunikation der Ergebnisse getroffen. Dieser Prozess konnte jedoch aufgrund des Rücktritts mehrerer Vorstandsmitglieder nicht abgeschlossen werden. Daher setzte das FTI quer über jeder Seite den Aufdruck „Draft“, also Entwurf. Der 42-seitige FTI Bericht bringt ans Licht, dass die Opfer neben dem sexuellen Missbrauch durch Dagri Rinpoche auch institutionellen Missbrauch durch die FPMT erlitten haben.

Umgang mit Betroffenen von Missbrauch innerhalb der FPMT

Die Beschwerden Betroffener, die die FPMT schon 2009 erreichten, wurden über ein Jahrzehnt nicht ernst genommen. Im Gegenteil, die damals bekannten Opfer seien als Störenfriede schikaniert worden. Die FPMT sei seitdem auch nicht gegen den Missbrauch vorgegangen. Betroffene in der FPMT-Gemeinschaft seien beschämt und ausgegrenzt worden. Führungspersonen der FPMT haben sich verachtend über die Zeugnisse Betroffener geäußert und haben diese entmutigt, sich zu den Missbrauchsfällen zu äußern.

Berichtende von Missbrauch hatten keine Vorteile von ihrem Mut, stattdessen haben sie den Verlust ihrer Gemeinschaft, von Freundschaften und Unterstützung erfahren. Zudem durchlitten sie massiven Online-Missbrauch und Rache sowie den Verlust ihres spirituellen Lebens, für das sie Jahrzehnte studierten und gearbeitet haben.

FPMT Strategien der Abwehr von Missbrauchsberichten

Das Faith Trust Institute listet folgende Strategien, die innerhalb der FPMT angewandt wurden, um Vorwürfe von Missbrauch und Fehlverhalten zu entkräften:

  • Mundtotmachen oder Verunglimpfen von Hinweisgebern mit Aussagen sie würden „spinnen“ oder seien „verrückt“
  • Manipulation von religiösen Konzepten wie Karma und Guru-Hingabe um Behauptungen zu entkräften und berechtigte Beschwerden zum Schweigen zu bringen
  • Ausnutzung bestehender religiöser und kultureller Konflikte (in Bezug auf Hindus oder Dorje Shugden), um alle Behauptungen über Missstände als falsch und das Werk äußerer negativer Kräfte zu kategorisieren
  • Obwohl sie Menschen in Führungs- und Autoritätspositionen davon erzählten, berichten Betroffene, dass ihre Bemühungen, Missbrauch aufzudecken, nicht weiterverfolgt wurden. Einige beschreiben, dass ihnen von Personen in der Leitung der FPMT privat versichert wurde, dass ihre Beschwerden keine Einzelfälle seien, was die Beschwerdeführer glauben ließ, dass etwas unternommen werden würde.
Das FTI findet Lama Zopa Rinpoches Äußerungen zu Dagri Rinpoche „besorgniserregend“

Der FTI Bericht beschreibt die Ratschläge Lama Zopa Rinpoches zu Dagri Rinpoche, angesichts der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs durch zahlreiche Frauen, „besorgniserregend und enttäuschend“. Sie böten „wenig moralische Klarheit“ über das Thema Missbrauch oder irgendeine praktische Konkretheit darüber, was zu tun ist, wenn eine mächtige Führungsperson anderen Schaden zufügt. Stattdessen würden seine Äußerungen eine Kultur unterstützen, in der es leicht ist, andere zu verleumden, Berichtende zum Schweigen zu bringen und die Schuld für jede Störung auf diejenigen zu schieben, die den Mund aufmachen oder sich über ihre Erfahrungen von Missbrauch beschweren. Seine Aussagen würden Menschen, denen geschadet wurde, nicht ermutigen den Mund aufzumachen oder sich Hilfe zu suchen. Viel eher würden sie dazu führen, dass den Betroffenen von Missbrauch die Verantwortung aufgebürdet wird, die sie schädigenden Taten als Methode im Sinne der eigenen Geistesschulung umzudeuten, ohne dass sie von der Institution praktische Hilfe erhalten.

Fünf glaubwürdige Zeugnisse von Missbrauchsopfern und es gibt noch mehr Missbrauchsfälle

Fünf Beschwerden erhielt das FTI über sexuelle Übergriffe durch Dagri Rinpoche. Sie gehen davon aus, dass es noch mehr Betroffene gibt und lesen aus Aussagen heraus, dass andere Missbrauchsopfer auf Druck ihre Berichte zurückzogen.

Der Report geht im Detail auf die fünf an die FTI übermittelten Berichte von den Missbrauchsopfern ein und stuft ihre Aussagen als glaubwürdig ein.

Des Weiteren berichtet der Report, dass neben Missbrauch durch Dagri Rinpoche auch noch Beschwerden über vier weitere FPMT Lehrer bezüglich sexueller Übergriffe hervorgebracht wurden und rät der FPMT diese dringend anzuerkennen und ihnen unverzüglich nachzugehen.

Reaktionsweisen und der Standpunkt von Dagri Rinpoche

Dagri Rinpoche erklärt im September 2020 in einer Erklärung gegenüber dem FTI, dass er ein Interview in der Sache oder jedwede Klärung, sei sie mündlich oder schriftlich, ablehne.

Laut FTI Report erhielt das FTI Beweise für Vergeltung von Seiten Dagri Rinpoches gegenüber den Missbrauchberichtenden. Dagri Rinpoche habe versucht sie zum Schweigen zu bringen, indem er sie gebeten habe, ihre Aussagen zurückzuziehen oder zu verzögern. Er habe auch versucht sie einzuschüchtern, in dem er den Dalai Lama ins Spiel brachte und z. B. bat, die Konsequenzen zu bedenken, sich über einen beliebten Rinpoche zu beschweren, was den Dalai Lama angeblich enttäuschen würde.

Gegenüber einigen Opfern habe er aber auch einige der Vorwürfe als wahr anerkannt. Sein Anwalt habe ihm allerdings geraten, sich nicht zu entschuldigen und er habe sich via einer Vertrauensperson bei einigen Betroffenen entschuldigt.

Gute Erfahrungen und schlechte Erfahrungen können koexistieren

Das FTI erhielt auch 39 Briefe in Unterstützung Dagri Rinpoches, macht aber klar, dass gute Erfahrungen oder die Qualitäten einer Person nicht ausschließen, dass dieselbe Person sich gegenüber anderen Personen anders verhält, ihnen schadet, ihr Vertrauen missbraucht. Diese unterschiedlichen Realitäten können sehr wohl zur gleichen Zeit existieren.

4. Die Reaktionen der FPMT auf den FTI Bericht

Am 4. Dezember 2020 gibt der Vorstand der FPMT eine weitere Mitteilung heraus, in dem er sich auf den FTI Bericht bezieht. Er entschuldigt sich für das Leid, dass durch eigene Fehler in vorangegangenen Prozeduren oder durch die eigenen Reaktionen entstanden ist. Gegenüber den Opfern, die sich äußerten, und dem FTI sei man dankbar.

Dieser Mitteilung ist entnehmbar, dass die FPMT nicht wirklich glücklich über den ihrer Meinung nach unfertigen Abschlussbericht ist und sich verwundert über das Ende der Zusammenarbeit mit dem FTI äußert. Das FTI hat dazu keine offizielle Stellungnahme oder Äußerung abgegeben. Über jedem Blatt des Berichts steht in großen orangenen Buchstaben DRAFT – also Entwurf.

Die FPMT würde alle Empfehlungen vom FTI und von Thirtyone:eight ernst nehmen und ihr „Bestes tun, um Verbesserungen so schnell wie möglich umzusetzen.“ Thirtyone:eight-Empfehlungen seien bereits im Mai 2020 begonnen worden umzusetzen, „erhebliche Fortschritte“ seien bereits erzielt. Viele der 15 Empfehlungen des FTI seien umgesetzt worden, andere seien in Arbeit.

In einem zusätzlichen dreiseitigen Dokument erhebt die FPMT Widerspruch bezüglich der Bewertungen des FTI zu Lama Zopa Rinpoches Ratschlägen an Dagri Rinpoches Studenten. Diese Ratschläge seien aus dem Kontext genommen worden und müssten im Kontext der Lehren und nicht aus einer Schutzperspektive verstanden werden. Sein Rat sei nicht im Widerspruch zu den Prozeduren, wie man mit Missbrauch umgehe, noch mit dem Rat des Dalai Lama, Missbrauch bekannt und öffentlich zu machen. Wie beide Ansätze sich gegenseitig ergänzen und nicht im Widerspruch zueinander stehen, sei allerdings, in der Tat, eine Herausforderung für den tibetischen Buddhismus im Westen. Die FPMT wolle sich dieser Herausforderung stellen. In einer Mitteilung an ein Opfer schreibt die FPMT sie würde anerkennen, in der Vergangenheit nicht „kristallklar gemacht“ zu haben, dass der spiritueller Rat Lama Zopas „rein aus der Perspektive der persönlichen spirituellen Praxis“ gekommen sei. Sie würden aktiv daran arbeiten, besser deutlich zu machen „dass, wenn Rinpoche spirituellen Rat gibt, dies nicht im Widerspruch zu irgendwelchen weltlichen Schritten steht, die angemessen und erforderlich sind, um auf Schaden und Missbrauch zu reagieren und ihn zu verhindern.“

In der bisher letzten und jüngsten Mitteilung vom 05.02.2021 teilt die FPMT Führung u.a. mit, dass das bereits in der vorherigen Mitteilung erwähnte Online-Trainingsprogramm zum Schutz vor Missbrauch („Protection from Abuse“) sich in der späten Entwicklungsphase befände. Es werde „für alle in Führungspositionen innerhalb der FPMT-Organisation verpflichtend sein, einschließlich der registrierten Lehrer, und wird derzeit von Thirtyone:eight überprüft. Es beinhaltet Anleitungen zu sexuellem Missbrauch, gesunden Grenzen, Machtungleichgewicht und Krisenintervention. Sobald das Training fertiggestellt ist, wird es in die wichtigsten Sprachen, einschließlich Tibetisch, übersetzt werden.“ Weitere Maßnahmen würden ergriffen, um „sicherzustellen, dass alle Beschwerden angemessen gemeldet, bearbeitet und gelöst werden können.“

Auch die Trennung von spirituellem Rat und weltlich notwendigen Schritten „für die Bearbeitung von Beschwerden und Anschuldigungen unabhängig von einem solchen Rat“ solle besser aufgezeigt werden.

Zudem habe man den zusammenfassenden FaithTrust Institute Bericht dem Büro Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zugesendet und um dessen Meinung und Empfehlungen gebeten.

Alle Opfer, die während der Untersuchung ein Zeugnis abgegeben haben, seien kontaktiert worden, um finanzielle Unterstützung für die Therapie anzubieten. (Dies schließt auch Opfer ein, wie die Koreanerin Young Sun Shin, deren Missbrauch durch Dagri Rinpoche nicht in einem FPMT-Zentrum stattfand. Young Sun Shin schreibt am 15.02.2021 in einem öffentlichen Facebook-Post, dass sie die von der FPMT angebotene Summe für die Therapiekosten von $3.000 an das Kloster Sravasti Abbey gespendet hat, da die Nonnen dort den Opfern auf vielfältige praktische Weise geholfen hätten.¹)

Gegenüber zwei weiteren Lehrern und einem Direktor seien Untersuchungen vor Ort angefragt worden. Ein Lehrer, der unangemessen Worte verwendet habe, sei verwarnt worden und stünde nun unter Beobachtung. Abschließend listet diese Mitteilung alle gegenwärtigen ethischen Richtlinien und Prozeduren und schließt mit dem „wichtigen Leitfaden“ über die Guru-Hingabe im tibetischen Buddhismus ab. Dessen Essenz sei „Der Guru ist ein Buddha.

5. Offene Fragen

  • Wie genau lässt sich die Sicht „der Guru ist ein Buddha“ mit einer Anzeige wegen sexualisierter Gewalt gegen den Guru – also „der Guru ist ein Sexualstraftäter“ – vereinbaren?
  • Wird das „Protection from Abuse“ (Schutz vor Missbrauch) Online Training, das verpflichtend für „registrierte“ FPMT-Lehrer sein soll, auch verpflichtend für Tulkus und Rinpoches sein?
  • Warum hat es zwei Jahre gebraucht, um den Opfern finanzielle Unterstützung für eine Therapie, und auch diese nur im limitierten Umfang anzubieten?
  • Warum wird in keiner der FPMT Stellungnahmen der Fakt oder die Gründe des plötzlichen Rücktritts von fünf der neun Vorstandsmitglieder zur Zeit des Erhalts des FTI Berichts erwähnt oder erklärt?
  • Wieso wird nicht eruiert und kommuniziert, warum das FTI die Zusammenarbeit einstellte?

Aus Emails an zwei langjährige Vorstandsmitglieder – die Zeit einschließend, in der die Vorwürfe zum ersten Mal berichtet wurden (ab 2009) – gehe außerdem hervor, dass die Vorwürfe sexueller Übergriffe durch Dagri Rinpoche nie im Vorstand thematisiert und diskutiert worden seien. Erst mit dem Zwischenfall im Flugzeug sei das passiert.

  • Wieso wurde der Missbrauch durch Dagri Rinpoche nicht im FPMT Vorstand thematisiert? Wurde – und wenn ja ab wann – der Missbrauch durch andere FPMT Lehrer im Vorstand thematisiert?

Der langjährige Vorstandsvorsitzende der FPMT, und das einzig westliche monastische Mitglied im Vorstand, Ehrw. Roger Kunsang, der über ein Jahrzehnt von den Vorwürfen gewusst haben soll und laut mehreren Quellen zu wenig unternommen habe, bleibt im Amt. Auch der Vorstand der FPMT ist weiter rein männlich, mit vier Mönchen – drei davon aus der Himalaya Region Nepals – und einem Laien.

  • Wieso hält der FPMT-Vorstand es für angemessen, den Ehrw. Roger Kunsang im Amt zu halten und in einer rein männlichen Besetzung weiterzuarbeiten?
  • Da die fünf zurückgetretenen Vorstandsmitglieder über Expertise in Recht und Wirtschaft verfügten, wie soll deren nun fehlende Kompetenz aufgefangen werden?
  • Wer im Vorstand verfügt über das nötige Wissen und die Sensibilität bezüglich des Schadens, der durch sexualisierte Gewalt für Mitglieder der Gemeinschaft entstehen kann?

6. Der Stand des Strafverfahrens in Indien

Das Strafverfahren gegen Dagri Rinpoche bezüglich der mutmaßlichen sexuellen Belästigung an Bord des Air India Fluges ist im indischen Gerichtssystem immer noch anhängig. Die erste Anhörung war am 23. Mai 2019; die nächste Anhörung ist für den 24. März 2021 angesetzt.²

Letzte Änderungen: 21.02.2021 | 16:40 Uhr


Anmerkungen:
Offenlegung: Der Autor, Tenzin Peljor, hatte die Möglichkeit, mehr als sechs Jahre in der FPMT kostenfrei zu studieren und zu leben und ist ihr in Dankbarkeit und Wertschätzung verbunden.
Überschrift: Die in der Überschrift benannte Taktik ist im englischen Sprachraum als DARVO bekannt. „DARVO bezieht sich auf eine Reaktion, die Täter, insbesondere Sexualstraftäter, zeigen können, wenn sie für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden. DARVO steht für ‚Deny, Attack, and Reverse Victim and Offender‘ (Verleugnen, Angreifen und Umkehren von Opfer und Täter). Der Täter kann das Verhalten leugnen, die Person, die ihn konfrontiert, angreifen und die Rollen von Opfer und Täter umkehren, so dass der Täter die Opferrolle übernimmt und das wahre Opfer – oder den Informanten – in einen angeblichen Täter verwandelt. Dies geschieht z. B., wenn ein eigentlich schuldiger Täter die Rolle des ‚fälschlich Beschuldigten‘ annimmt und die Glaubwürdigkeit des Anklägers angreift und den Ankläger beschuldigt, der Urheber einer falschen Anschuldigung zu sein. Institutionelles DARVO tritt auf, wenn das DARVO von einer Institution (oder mit institutioneller Komplizenschaft) begangen wird, wie wenn die Polizei Vergewaltigungsopfer der Lüge bezichtigt. Institutioneller DARVO ist eine bösartige Form des institutionellen Verrats.“
Fußnoten:
¹ Persönliche Kommunikation am 21.02.2021
² Der Eintrag am Gericht in Indien kann hier abgerufen werden:
https://services.ecourts.gov.in/ecourtindia_v6/ | CNR : HPKA120015502019. Der Fall wird unter dem Code 354A verhandelt. Dieser Code beinhaltet „Sexuelle Belästigung und Bestrafung bei sexueller Belästigung“; siehe: https://devgan.in/ipc/section/354A/


Missbrauch in der FPMT: Verleugnen, Angreifen und Umkehren von Opfer und Täter

Ein Gedanke zu „Missbrauch in der FPMT: Verleugnen, Angreifen und Umkehren von Opfer und Täter

  • 20. Februar 2021 um 09:18 Uhr
    Permalink

    Folgende Frage wurde noch nachgereicht:
    ****
    Buddhisten geht es darum, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. Ist es dann nicht widersprüchlich, zwischen einer „Trennung von spirituellem Rat und weltlich notwendigen Schritten“ zu unterscheiden? Sollte spiritueller Rat nicht im Einklang mit weltlich notwendigen Schritten sein?
    ****
    Um das Post nicht zu überfrachten, bringe ich den Gedanken hier als Anregung in der Kommentarsektion unter.

    Antworten

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